Auszug aus der Chronik, die anlässlich des 175.jährigen Bestehens des Kegelklubs Ratsweinkeller von 1822 zu Stade entstanden ist. Die „kursiv“ geschriebenen Textzeilen wurden wörtlich den Originaldokumenten entnommen.

 

 

 

Am 20. Oktober 1822 wurde der Kegel-Club vom Raths-Weinkeller zu Stade von 21 Kegelfreunden gegründet, von Männern, die sich offenbar schon längere Zeit zum Kegeln getroffen hatten.

 

Stade und das Königreich Hannover befanden sich damals noch in einer Wiederaufbauphase nach der französischen Besatzung und den Befreiungskriegen. Die absolutistische Ordnung war von Hannover ohne wesentliche Änderungen wiederhergestellt worden. Die Gründung des Deutschen Bundes sollte die Einheitswünsche befriedigen, diente aber vor allem dazu, eventuelle demokratische oder republikanische Bestrebungen unter Kontrolle zu halten.

 

 

Die Festung Stade mit ihren nachteiligen Folgen für die wirtschaftlichen Beziehungen blieb erhalten und wurde wiederhergestellt. In der staatlichen Verwaltung wurden 1823 die Provinzialregierungen aufgelöst und durch Landdrosteien ersetzt, die aber im wesentlichen dieselben Funktionen wahrnahmen. Im darauffolgenden Jahr 1824 erließ der Hannoversche König eine neue Stadtverfassung die erste obrigkeitlich festlegte. Der Magistrat, das oberste städtische Verwaltungsgremium, setzte sich nun nur noch aus sechs Mitgliedern zusammen, zwei Bürgermeistern, die für die Verwaltung bzw. Justiz zuständig waren, drei Senatoren, die bestimmte abgegrenzte Geschäftszweige- Kämmerer, Bauherr, Stadtrichter- zu betreuen hatten, und einem Sekretär. Das Stadtgericht war immer noch ein allerdings klar unterschiedener Teil des Magistrats.

 

Auch das Zunftsystem war noch nicht geändert worden, 1833 wurden noch 23 Zünfte registriert, die argwöhnisch jede Veränderung der wirtschaftlichen Bedingungen zu verhindern suchten. Dennoch, und gegen ihren Widerstand, bildete sich in den 1820er Jahren allmählich eine Jüdische Gemeinde mit innerer Selbstverwaltung in Stade.

Die vier aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammenden Brüderschaften erhielten allmählich wieder mehr Zulauf, und die erste Hälfte des 19. Jahrhundert wurde eine Zeit der unterschiedlichsten bürgerlichen Vereine, die vielfältige soziale und gesellschaftliche Zwecke verfolgten. Klubs und Gesellschaften schossen aus dem Boden, ob es 1833 der Vaterländische Verein oder im selben Jahr der Frauenverein waren oder 1838 „nur“ der Armster’sche Klub.

 

 

Eine ganz frühe Gründung in dieser Reihe war die „Kegel-Club-Gesellschaft“. In das Licht der Obrigkeit trat sie allerdings erst 1848, dem Jahr der bürgerlich-demokratischen Revolution, die auch in Stade nicht ohne Widerhall blieb. Ein Jahr zuvor, am 26. August 1847, hatte sich die „Kegel-Club-Gesellschaft vom Raths-Weinkeller zu Stade“ ihre erste Satzung gegeben, in einem Jahr, wie es ausdrücklich unter dem Statut hieß, wo es angesichts „einer seit Menschen-Gedenken unerhört großen Noth und Theuerung“ in verstärktem Maße Pflicht „des Fröhlichen“ sei, „wohlzuthun und mitzutheilen“.

Wovon sprachen die Kegelbrüder?

 

 

Bereits im Mai 1847 waren die Roggenpreise stark gestiegen, und in den folgenden Monaten stiegen sie weiter , so dass breite Schichten der Bevölkerung sich nur dadurch notdürftig ernähren konnten, daß sie sich Kredite zur Beschaffung der Lebensmittel aufnahmen. Das war das Umfeld der ersten Statuts des Kegelklubs vom Ratsweinkeller. In den ersten 25 Jahren seines Bestehens hatte die Bevölkerung der Stadt im übrigen um fast 40% zugenommen, von etwa 4400 auf gut 6000 Menschen.

 

 

In der Vorbemerkung zum ersten Statut gab der Vorstand der Gesellschaft einen Überblick über die bisherige Entwicklung. Zunächst hatte die von 21 Mitgliedern gegründete Gesellschaft keinen Protokollführer, die Stiftungsurkunde vom 20. Oktober 1822, die am 27. Oktober 1822, dem „Reformationstage Lutheri“, von allen eigenhändig unterschrieben wurde, war im ersten „Instructions- und Rechnungsbuche“ der Gesellschaft eingetragen, das allerdings leider nicht erhalten geblieben ist.

 

Einen ersten sechsköpfigen Vorstand wählte die Gesellschaft auf einer General-Versammlung am 5. August 1841 und beschloß, sich als „dauernde Wohlthätigkeits-Stiftung“ zu konstituieren. Nur knapp vier Jahre später beschloß der Kegelklub, einen „Becher“ zu beschaffen, den noch heute erhaltenen Pokal der Gesellschaft, den der Goldschmied Carl Georg Ferdinand Schmalfeld, seit 1829 auch ein Kegelbruder, herstellte. Auf dem oberen Teil der Kuppa ist eine Gruppe von Kegelbrüdern in Aktion zu sehen, der untere Teil wie auch der Fuß weisen mit Weinlaubornamentik auf den Stiftungsort, den Ratsweinkeller hin. Der Deckel wird gekrönt durch eine männliche Figur, die unter dem rechten Arm eine Kegelkugel hält, mit der linken einen Weinkelch hebt.

 

Am 14. April 1847 stellte die General-Versammlung schließlich fest, daß das, was man bisher Statuten genannt hatte- an anderer Stelle wird von Instruktionen gesprochen-, mangelhaft und lückenhaft sei. Daher wurden die Vorstandsmitglieder Gerichtsvogt Rohde, Schlosser Gally, Kupferschmied Peterson, Bäcker Mirowsky, Kaufmann Krome sowie der Kanzlist Büttner, der Kämmerer Colpe und der Uhrmacher Schütte damit beauftragt, einen Entwurf auszuarbeiten, der am 26. August 1847 von der General-Versammlung beschlossen wurde.

 

Nach §2 versteht sich die Gesellschaft als ein Verein „frohvergnügter, einander gemüthlich zugethaner Gäste, die sich an festgesetzten Tagen und Stunden nach Neigung und Zeit zusammenfinden, ein unschuldiges Unterhaltungsspiel nicht verwerfen und namentlich das Kegelspiel, dem die Gesellschaft ihr Entstehen verdankt, als eine mit geringem Geld-Umsatze verbundene Uebungs- und Vergnügungssache, aber auch als Wohlthätigkeits-Werk für arme Nothleidende betrachten“.

Die Gesellschaft wurde gegründet als ein Verein der mittleren „Bürgerclasse“, dem sich Freunde aus dem „Civil- und Millitärstande“ anschlossen. Diese Grundsätze sollen auch in Zukunft gelten. Der Vorstand besteht aus sechs Mitgliedern; die (erstmalige) Annahme dieses Ehrenamtes ist verpflichtend; allerdings kann ein Vorstandsmitglied jederzeit ohne Angabe von Gründen zurücktreten.

 

Die Gesellschaft soll sich aus Mitgliedsbeiträgen, Antrittsgeldern neuer Mitglieder, Büchsensammlungen und schließlich aus der Kegelkasse finanzieren. Neben allgemeinen Ausgaben werden hieraus insbesondere Unterstützungsgelder gezahlt. Dabei sollen in erster Linie diejenigen Bedürftigen berücksichtigt werden, die in ihrer früheren besseren Lage der Gesellschaft angehört haben. Grundsätzlich muss die General-Versammlung über die Unterstützungsgelder beschließen; dringliche Unterstützungen darf der Vorstand allein bewilligen, wobei die Summe 2 Reichstaler, im gesamten Jahr 6 Reichstaler nicht übersteigen darf. Das Rechnungsjahr beginnt am 20. Oktober.

 

Genauere Bestimmungen trifft das Statut in einem besonderen „Kegel-Reglement“. Die Kegeltage werden im Winter-Semester“ auf zwei, im Sommer-Semester auf vier festgelegt. Während des Winter-Semesters ist die „Raths-Weinkeller-Kegelbahn“ der Versammlungsort, im Sommer werden einige außerhalb der Stadt gelegene Kegelbahnen „ engagiert“. Die „Kegelstunden“ zählen von 16 bis 22 Uhr, und in der gesamten Zeit sollen die Bahnen nur der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Die Sommerkegelbahnen werden jeweils für eine Saison frei gewählt.

 

Für jede Kegelbahn muss die Gesellschaft eine Kegelbüchse haben, in die der Anteil der Kasse an den „Honneur-Würfen“.(8, 8 ohne König, 9) das Bahngeld im Winter und freiwillige Gaben sowie Strafgelder geworfen werden. Für das Winter-Kegellokal wird eine Entschädigung von 12 Groschen pro Abend gezahlt.

 

Die Gesellschaft hält sich auch einen Boten, der dafür ein Jahresgehalt von 3 Reichstalern erhält. In ihrer Gesamtheit versteht sich die Gesellschaft, so heißt es in der IV. Abteilung des Statuts, als eine „moralische Person in gesetzlicher Existenz und Bedeutung“.

 

 

Am 20. Oktober 1847, zum 25jährigen Bestehens der Gesellschaft, trat das Statut in Kraft. Der Gesellschaft gehörten nun genau 50 Mitglieder an. Knapp ein Jahr später wandte sich der Vorstand der Gesellschaft bereits an die Landdrostei und bat, ihr die Korporationsrechte zu verleihen:

Im Jahre 1822 am 20.Oktober wurde in einer Kegelgesellschaft auf dem Raths-Weinkeller der Beschluß gefaßt, die zwar auf geselliges Vergnügen abzielende Gesellschaft zu einer gemeinnützigen Anstalt der Art zu bilden, daß ein Theil der im Kegelspiel aufkommenden Gewinnste, Beiträge der Mitglieder und Eintrittsgelder zum Besten nothleidender, namentlich verschämter Armen sofort jährlich verwandt, ein anderer aber zu einem Capitale gesammelt werde solle, um der Gesellschaft mehr Halt und Festigkeit zu geben, auch durch demnächstige Verwendung der aufkommenden Zinsen zu dem obgenannten Zwecke mehr und mehr wirken und den Nothleidenden kräftiger beistehen zu können.

Seit dem 25.jährigen Bestehen der Gesellschaft ist nun nicht allein Vieles zur Abwendung der Noth und Erleichterung der Armen geschehen, sondern es ist auch außer dem sonstigen, der Gesellschaft gehörenden Inventario ein Capital-Vermögen von über Tausend Mark gesammelt worden, so daß der Bestand der Gesellschaft für künftige Zeiten gesichert worden ist. Hierdurch tritt nun aber die Gesellschaft zur Staats-Gesellschaft auch in andere Verhältnisse, als bloße Gabenspenderin an die Armuth, indem es erforderlich ist, daß in vorkommenden Fällen zum Schutze des Vermögens derselben oder zur Disposition über dasselbe, die Legitimation der Gesellschaft und der von ihr erwählten Vorsteher nicht in Zweifel gezogen werden dürfte.

 

Die gehorsamst unterzeichneten derzeitigen Vorsteher der rubricirten Gesellschaft, beauftragt von sämtlichen Mitgliedern, erlauben sich deshalb, indem sie ein Exemplar der Gesellschafts-Statute hierneben ehrerbietigst überreichen, aus welcher hohe königliche Landdrostei den Zweck und den Bestand der Gesellschaft zu ersehen geneigen wolle, die gehorsamste Bitte: in dieser Angelegenheit des Gebrauches des Stempelpapieres uns der Sporteln enthoben zu sein.

Stade, den 26. Sept. 1848


Der Vorstand der Kegelclub-Gesellschaft vom Rathsweinkeller
G.Gally; Colpe; Krome; Mirowsky; c.Becker; Büttner

 

 

 

Eine Entscheidung über diesen Antrag ist nicht überliefert, ebensowenig eine Stellungnahme des Magistrats. Bereits 1854 in der Neufassung des Statuts des „Kegel-Clubs vom Rath-Wein-Keller zu Stade“, wie er sich jetzt nennt, fehlt der Hinweis auf die Eigenschaft des Klubs als einer „moralischen Person“.

 

 

Wer gehörte dem Kegelklub an?

 

Aus einer späteren Liste kennen wir die 21 Gründungsmitglieder. An erster Stelle steht, und er war wohl auch maßgebend an der Stiftung beteiligt, der Ratsweinkellerpächter C. F. Kuhirt. Die übrigen Mitglieder entstammen tatsächlich, wie das erste Statut es ausdrückte, der mittleren Bürgerklasse, es waren vorwiegend selbständige Handwerksmeister, Schuster, Schlachter, Drechsler, Tischler, Färber, Böttcher, Knopfmacher und Schlosser- der spätere Präsident Gally. Dazu kamen ein Fährschiffer, ein Tabakfabrikant, ein Essigbrauer, der Maler und Senator Haverkampf, der aber, wie andere Unternehmer vor ihm, später austrat.

 

Seit 1829 verzeichnete der Klub zahlreiche Neueintritte, aber auch eine starke Fluktuation. Beispielsweise trat der Gerichtsvogt Rhode, ein Vorstandsmitglied, der zur Statutenkommission gehörte, im Geschäftsjahr 1847/48 wieder aus. Am 8. Juli 1844 gehörten dem Klub bereits 54 Mitglieder an; die Mitgliederstruktur hatte sich allerdings nur unwesentlich geändert. Neben Handwerkern und mittleren Beamten waren nun auch eine Reihe von Kaufleuten eingetreten. Es fehlten aber noch- die Gastwirte, die später eine Hauptgruppe unter den Mitgliedern ausmachten.

 

Seit dieser Zeit, den frühen 1840er Jahren, sind eine größere Zahl von Protokollen über die Aufnahme neuer Mitglieder erhalten. Wegen des aufgenommenen Mannes interessant ist das Protokoll vom 5. Oktober 1844 im „goldenen Engel“ beim Gastwirt Rohde. Anwesend waren außer dem Sekretär nur 9 weitere (von 54) Kegelbrüder:

 

Zur Aufnahme in den Kegelklub hat sich der Schreiber Herr Hagenah gemeldet, weshalb zum Ballottement über denselben auf heute Termin angesetzt worden, wie solches durch den Anschlag in der Kegelbahn bekannt gemacht.
Nachdem sich obenbemerkte Mitglieder eingefunden, so schritt man zum Ballottieren und nachdem die Maschine geöffnet, so ergab sich:
für die Aufnahme 8 weiße Kugeln gegen die Aufnahme 2 schwarze Kugeln. Mithin ist der obgedachte Herr Hagenah als Mitglied der Gesellschaft aufgenommen und damit dieser Act geschlossen worden.

 

Dieser neue Kegelbruder Hagenah war Jürgen Hinrich Hagenah aus Dornbusch, damals 24 Jahre alt. Weil er im Schreiberberuf keine guten wirtschaftlichen Aussichten sah, machte er sich 1850 als Unternehmer selbständig und gründete eine Holz- und Getreidehandlung, die schon bald expandierte. Jürgen Hinrich Hagenah wurde einer der reichsten Männer Stades; zeitlebens gehörte er dem Kegelklub an. Das Statut von 1886 verzeichnete ihn als ältestes Mitglied des Klubs.

 

Das Ballotieren, das Einwerfen von weißen bzw. schwarzen Kugeln in die Stimmmaschine, war eine damals verbreitete Form der Abstimmung über die Aufnahme neuer Mitglieder. Es wurde später durch Stimmzettel, zeitweise auch durch schriftliche Abstimmung ersetzt. Vorgeschrieben war eine ⅔- Mehrheit der Stimmen, die im 20.Jahrhundert durch Einstimmigkeit abgelöst wurde. Über dieses schriftliche Abstimmungsverfahren unterrichtet beispielsweise eine Protokollnotiz vom 29. November 1855:

 

 

Gegenwärtig
Herr Rechnungsführer Klöfkorn und der Unterzeichnete
Aufnahme neuer Mitglieder betr.
Die Herren Musikdirektor Bock und der Schlächtermeister Einstmann haben um Aufnahme in den KegelClub zum Rathsweinkeller nachgesucht. Nachdem der Bote Nagel den Ballotirkasten wieder zurückgebracht und die Nebenunterzeichneten sich zur Eröffnung desselben eingefunden, ergab sich folgendes Resultat

1.daß Herr Bock von 54 Stimmen mit 53 Ja-Stimmen gegen 1 Nein-Stimme
2.Herr Einstmann von 54 Stimmen mit 46 Ja-Stimmen gegen 8 Nein-Stimmen, also beide mit bedeutender Majorität als aufgenommen anzusehen.
In fidem C.Klöfkorn; Bösch

 

Unter den neuen Mitgliedern befinden sich in den 1840er Jahren in zunehmender Anzahl Gastwirte, beginnend 1842 mit dem oben erwähnten Rohde. Zwei Jahre Später, 1844, wurde der Gastwirt Haase vor dem Kehdinger Tor aufgenommen, der in seiner Gartenwirtschaft später auch ein „Sommertheater“ einrichtete. 1845 folgten die Gastwirte Meyer im „Goldenen Löwen“ und Frömling im „Norddeutschen Hof“ an der Ecke Holzstraße und Breite Straße. Bis 1852 wurden dann acht weitere Gastwirte aufgenommen. Am 20. Oktober 1859 hatte der Kegelklub 64 Mitglieder, 1866 war es mit 63 eines weniger. Innerhalb von 20 Jahren, bis 1886, aber stieg die Mitgliederzahl noch einmal um die Hälfte auf 96, wobei insbesondere nach 1870 eine große Zahl neuer Mitlieder eintrat. Am 15. Februar 1881 beispielsweise teilte der Sekretär J. Bösch dem Zigarrenfabrikanten H. F. Fick mit:


Mit der Anzeige, daß am 14. d[ieses] M[onats] Sie als neues Mitglied des Kegelklubs vom Rathsweinkeller aufgenommen wurden, mache ich die mit dem Eintritte verbundenen Kosten im Nachstehenden auf

a. An Eintrittskosten

b. An Statutgebühren

c. für die Gravirung Ihres Namens auf den Pokal

d. für den laufenden Jahresbeitrag

e. An Douceur für den Boten

Zusammen

4 Mark 

38 Pfennig

50 Pfennig

1 Mark

50 Pfennig

6,38 Mark

 

 

Welchen Betrag Sie gütigst dem Vereinsboten Herrn Wülper aushändigen wollen.

Stade, den 15. Februar 1881

 

P.S.: Im gegenwärtigen Semester (Winter 1880/81) sind die Clubtage an den Montagen beim Gastwirt H. W. Diercks und Donnerstag beim Herrn G. Wilhelm.

 

 

 

Einen tiefen Einschnitt stellte sicher die Schließung des Ratsweinkellers und überhaupt der Erste Weltkrieg dar. Nach einer vereinzelten Mitgliederliste gehörten dem Klub 1920 noch 60 Kegelbrüder an. 1937 schlossen sich dann die beiden Kegelklubs Kyffhäuser und Ratsweinkeller zusammen.

 

Der Kegelklub war durch den Ratsweinkeller als Gründungs- und Versammlungsort im Winterhalbjahr eng mit dem Rathaus verbunden. Auch daraus ist das Schreiben zu verstehen, daß  der Präsident des Klubs, der Tischler Borchers, am 1.November 1880 an den Bürgermeister Neubourg richtete:

 

Der o. g. Kegelklub vom Rathsweinkeller hat ein Vermögen von 1800 Mark angelegt in Hannoverschen Schuldverschreibungen. Nach dem Statut der Gesellschaft werden die aufkommenden Zinsen alljährlich im October an Arme hiesiger Stadt vertheilt.

Bislang hat der zeitige Rechnungsführer der Gesellschaft die Werthpapiere in Aufbewahrung gehabt. Da aber die nöthige Sicherheit gegen Feuer- und Diebesgefahr auf diese Weise nicht gewährt wird, so erlaubt der Vorstand der Gesellschaft sich ganz gehorsamst, wohllöblichen Magistrat zu ersuchen die Werthpapiere der Gesellschaft ad 1800 Mark in Aufbewahrung zu nehmen und im October die fälligen Coupons der Gesellschaft auszuhändigen.

 

Neubourg stimmte dieser Bitte zu, und der Magistrat nahm die Wertpapiere der Gesellschaft in Verwahrung, die 1887 gegen schwedische Schuldverschreibungen ausgetauscht wurden.

 

Die Statuten des Kegelklubs treffen deutliche Unterscheidungen zwischen dem Kegeln im Sommer bzw. im Winter; sichtbar wird dies beispielsweise auch an dem Protokoll einer Versammlung auf dem Ratsweinkeller am 30.März 1854:

 


Die erste Frage in heutiger Versammlung

Soll der Winter-Kegelclub bis auf Weiteres und namentlich so lange als noch nicht draußen gekegelt werden kann, fortgesetzt werden?
Wird, da Herr Kuhirt das Lokal, ohne Erhöhung des dafür zu vergüthenden Kohlen- und Lichtgeldes zu fordern, der Gesellschaft überlassen, einstimmig bejaht.

 

 

 

In Betreff des Sommer-Kegelklubs ward dann beschlossen, derselbe möge in der Woche nach Ostern, wenn nicht schon früher schöne Frühlingswitterung ins Leben gerufen, beginnen, und zwar

Montags

Dienstags

Mittwochs

Donnerstags

Freitags

Sonnabends

bei Herrn Gastwirt Kolbach

bei Herrn Gastwirt Schröder

bei Herrn Gastwirt Diederichs

bei Herrn Gastwirt G. Meyer

bei Herrn Gastwirt Lühmann

bei Herrn Gastwirt Kolbach

Es sollen diese Bestimmungen sämmtlichen Mitgliedern durch besondere Clubkarten angezeigt und den betreffenden Wirthen weitere Instructionen ertheilt werden.

Außerdem wurde beliebt, für die Wirthe Diederichs und Lühmann eine Kegelclubs-Büchse für unsere Gesellschaft anfertigen zu lassen, in welche die Eckgelder wie auch die sonstigen, unseren Armen gemachten Spenden eingesteckt werden.

 

 

Am 2. August 1854 fand im Garten des Gastwirts Diederichs vor dem Kehdinger Tor eine weitere Versammlung statt, auf der vor allem darüber beraten wurde, ob dem mehrfach ausgesprochenen Wunsch gefolgt werden solle, „daß der Kegelklub ein Festessen mit Bal veranstalten möge“. Der Vorstand gab daraufhin bekannt, daß man bereits mit dem Gastwirt Kolbach, dem „Clubwirt“, verhandelt habe. Kolbach habe das Essen für 8 Groschen je Person angeboten. Für weitere 4 Groschen je Herr (!) biete er den Saal, Beleuchtung, Tanzmusik und dreimal Tee für die Damen sowie zweimal Kuchen. Garantiert werde ihm die Summe von 15 Reichstalern. Daraufhin beschloß die Versammlung, das Fest am Montag, 14.August stattfinden zu lassen. Der Vorstand übernahm die Einladung. Die Einladungsliste umfasste außer den 60 Mitgliedern noch weitere 132 Nicht-Mitglieder. Nicht bekannt ist, wie viele Menschen an dem Ball tatsächlich teilnahmen.

 

 

Zwei weitere wichtige Entscheidungen traf die Versammlung. Zunächst wurde eine Kommission gebildet, die das Statut überarbeiten sollte. Ein neues Statut wurde am 26.August 1854 beschlossen. Außerdem beantragte der Präsident Gally, ihm aus dem Vermögen des Kegelklubs ein Darlehen von 200 Reichstalern zu 4% zu gewähren. Die Versammlung stimmte zu, unter der Bedingung, daß Gally eine öffentliche Hypothek bestelle.

 

Die Unterstützung „verschämter Armer“ war für den Kegelklub ebenso wie für die vier Stader Brüderschaften neben dem geselligen Beisammensein eines der Hauptanliegen. Zu den regelmäßig Unterstützten gehörte u. a. der Schneider Engel. Sein erstes Bittschreiben richtete er am 26.März 1853 an den Vorstand der „löblichen Korporation des Kegel-Clubs“:

 

Indem ich mir die Erlaubniß nehme, der löblichen Korporation mit einer Bitte zu nahen, hoffe ich nicht allein, einer Gewährung derselben entgegen sehen, sondern auch eine Entschuldigung dieses Schrittes beanspruchen zu können.

 

Daß meine Beschäftigung als Schneider nicht der Art ist, um meine Familie wenn auch dürftig davon alimentieren zu können, ist nicht alleine bekannt, sondern kann, in Betracht der oftmaligen Kränklichkeit meiner Frau, mir nicht zum Vorwurf gereichen, zumal der Erwerb, welcher durch die Körperschwäche meiner Frau und deren fast gänzlicher Arbeitsunfähigkeit allein auf mir beruht, noch häufige[n] Störungen dadurch ausgesetzt ist, welche zur Folge haben, daß ich mit der größten Anstrengung kaum das tägliche Brod zu erwerben im Stande bin.

 

So habe ich nun mit unsäglicher Mühe und Sorgen unter Entbehrung des Nothdürftigsten den Winter durchgekämpft und würde noch jetzt keine Hülfe in Anspruch, wenn ich nicht gegenwärtig durch die seit einigen Tagen erfolgte sehr schwere Entbindung meiner Frau von einem Knaben in meine Geschäfte so gänzlich behindert bin, daß ich nun wieder statt meinem Erwerb obliegen zu können, die Fuction eines Krankenwärters übernehmen muß.

 

Die löbliche Societät wolle daher geneigtest unter Berücksichtigung der Verhältnisse uns mit einer kleinen Unterstützung erfreuen.

 

Unterthänigster O. H. Engel, Schneider

 

 

Das von einem berufsmäßigen Schreiber umständlich aufgesetzte Bittgesuch macht dennoch die labile Situation zahlreicher Menschen in Stade deutlich. Die durchschnittliche Familie war auf die dauernde Mitarbeit der Frau angewiesen; wenn diese ausfiel, brachte dies allein schon die Familie in Schwierigkeiten. Wenn Krankheit und eine komplizierte Geburt hinzukamen, wie in diesem Fall, dann konnte die Familie nicht mehr aus eigener Kraft überleben. Der Schneider erhielt, wie ein Vermerk auf seinem Schreiben zeigt, einen Reichstaler aus der Klubkasse, immerhin damals doch eine beträchtliche Unterstützung.

 

 

Erst das dritte Statut des 19.Jahrhunderts, das am 15.Oktober 1886 unter dem Vorsitz des Bierbrauers Ludwig Reese beschlossen wird, nimmt das noch heute geltende Motto der Kegelgesellschaft auf

 

 

Seid um den Becher ihr vereint,
Sei euer Herz voll Fröhlichkeit!
Doch denkt auch, daß die Sorge weint
Und seit zum Wohlthun gern bereit!

 

 

Bedeutsam für die weitere Entwicklung war die Generalversammlung des Kegelklubs am 25. November 1927 im „Goldenen Löwen“. Sie begann erst um 22:30 Uhr, offenbar noch dem Kegeln. Präsident war der Polsterer Heinrich Abbenseth; außer ihm waren noch weitere 15 Kegelbrüder anwesend.

 

 

Wichtigster Beratungspunkt war ein neues Statut. Aus der Niederschrift der Versammlung geht hervor, daß sich der Klub bereits 1912 ein neues, nicht erhaltenes Statut gegeben hatte. Mit 15 : 1 Stimmen beschloß die Versammlung nun, sich ein neues revidiertes Statut zu geben. Neu ist die Unterteilung in aktive und passive Mitglieder, wobei die Zahl der aktiven Mitglieder 20 nicht überschreiten sollte. Ebenfalls eine gewichtige Änderung war die Bestimmung in §27, daß neue aktive Mitglieder nur einstimmig aufgenommen werden durften, während bei passiven Mitgliedern wie bisher die ⅔-Mehrheit ausreichte. Mit dem 27. November 1927 sollte das neue Statut in Kraft treten.

 

 

Wohltuend für die Kasse war noch ein weiterer Beschluß, daß zu spät kommende oder sogar nicht erscheinende Kegelbrüder Strafen zu zahlen hätten.

 

 

Das Protokollbuch verzeichnet auch die Aktivitäten des Klubs im Laufe des Jahres. 1929 beispielsweise beteiligte sich der Klub, wohl im Frühjahr, an einem Preiskegeln in Grünendeich, und im Juni führte eine „Herrentour“ ebenfalls nach Grünendeich. Als neue Mitglieder wurde Jens Peter Andresen und Hinrich Adami aufgenommen. Am 6. Oktober 1929 nahm der Klub sogar an einem Verbandskegeln in Harsefeld teil.

 

 

 

Auf der Generalversammlung am 9. Oktober 1929 wurde die Satzung erneut geändert; der Vorstand musste nun jedes Jahr neu gewählt werden. Das Stiftungsfest sollte am 26. Oktober mit Damen gefeiert werden. Als Gedeck wurde festgelegt

         Suppe

         Karpfen

         Roastbeef

         Kompott

Ausdrücklich wurde bestimmt, daß den Damen eine Eisbombe gereicht werden sollte. Pro Person sollte das Gedeck 5,50 RM kosten.

 

Schließlich beschloß man, alle Kegelbrüder über 70 Jahren zu beitragsfreien Ehrenmitgliedern zu ernennen.

 

 

 

 

Am 12. April 1931 veranstaltete der Klub selbst ein Preiskegeln, bei dem 2 Schweine mit zusammen 250 Pfund zu gewinnen waren. Kegellokal war immer noch der „Goldene Löwe“. Dem Keglerwirt Friedrich Meyer wurde daher im selben Jahr zum 125jährigen Geschäftsjubiläum auch vom Kegelklub ein Geschenk überreicht. Am 2. September 1931 stifteten drei Kegelbrüder den noch heute erhaltenen Kegelschrank, H. Westphal das Holz, Th. Heller die Anfertigung und H. Abbenseth das Tuch und den „Klinkbüttel“. Der Schlachter Berg stiftete zur Einweihung des Schrankes Knackwürste, Friedrich Meyer Salat. Der Wirt sorgte schließlich auch für die Inschrift auf dem Schrank.

 

 

 

In der Generalversammlung am 27. September wurden erneut die Statuten geändert. Die Wohltätigkeit sollte nur den in Not geratenen Mitgliedern von Fall zu Fall zugute kommen. Außerdem trat der Klub aus dem „Unterelbischen Keglerverband“ aus.

 

 

Das Jahr 1932 spiegelte auch im Kegelklub die politische Entwicklung wider. Ein Kegelbruder stiftete ein Hitler-Bild, das an vier Abenden ausgekegelt wurde. Es wurde aber festgelegt, daß das Bild im Kegelraum bleiben sollte.

 

 

 

Im „Dritten Reich“ nahm der Zuspruch zum Kegelklub Ratsweinkeller offensichtlich ab. Am 7. Januar 1937 fand daher eine Vereinigungsversammlung der beiden Kegelklubs „Kyffhäuser und Ratsweinkeller“ statt. Von den „anwesenden Kameraden“ wurde beschlossen, „eine Vereinigung in der Weise durchzuführen, dass der neue Klub den Namen Ratsweinkeller führt und das gesamte Vermögen der beiden bisherigen Klubs in das Eigentum des Klubs übergeht.“

 

Anwesend waren vom „Kyffhäuser“ neun Kegelbrüder, vom „Ratsweinkeller“ nur fünf. Der Ratsweinkeller hatte kein Bargeld mehr in den neuen Klub einzubringen, und auch der neue erste Vorsitzende wurde aus den Reihen des „Kyffhäuser“ gewählt. Insgesamt gehörten dem Klub nun 18 Kegelbrüder an.

 

 

Aus dem neuen Kegelklub entstammte 1938 beim Stader Königskegeln am Himmelfahrttag der Kegelkönig, Walter gen. Wally Scheruhn. Am 13.Dezember 1938 wird die letzte im „Goldenen Löwen“ protokolliert. Die Eintagungen beginnen erst wieder am 23. Oktober 1947, als der Kegelklub Ratsweinkeller im „Goldenen Löwen“ sein 125jähriges Bestehen feiern kann. Zum 1.Vorsitzenden wird Alex Schneider gewählt.